Legasthenie

Was ist eine Lese-Rechtschreibstörung/Legasthenie?


So eindeutig die wissenschaftliche Bestimmung der Schwierigkeiten, die Kinder mit der Schriftsprache bekommen können, auch sein mag, die Definition der Lese-Rechtschreibschwierigkeiten hat immer auch eine bildungspolitische Seite. Es ist unzweifelhaft der bildungspolitische Äuftrag der Schule, allen Kindern das Schreiben und Lesen beizubringen. An dieser Fertigkeit hängt die Zukunft der jeweils nächsten Generation; Schreiben und Lesen sind die kommunikativen Kulturfertigkeiten par excellence.

Jede Definition der erkennbaren entwicklungsbezogenen Defizite von Kindern legt insofern immer auch einen Finger in die Wunde der Kultusministerien, die über Finanznot klagen. Die Begriffsvielfalt (Lese-Rechtschreibschwäche, LRS, Legasthenie, Lese-Rechtschreibstörung, Dyslexia etc.) verdankt sich wesentlich diesem Dilemma. In der wissenschaftlichen Diskussion und in der Forschung hat sich im Wesentlichen eine Definition durchgesetzt, auch wenn ein gewichtiger Einwand gegen die darin enthaltene sog. Diskrepanzthese bestehen bleibt:

Gemeinsam ist diesen Definitionen, dass von Legasthenie dann gesprochen werden soll, wenn ein Kind deutlich mehr Schwierigkeiten mit dem Erlernen des Schreibens und Lesens hat als von seinen intellektuellen Möglichkeiten her zu erwarten ist, wenn die Leistungen im Schreiben und Lesen also deutlich abfallen gegen seine Leistung bei anderen schulischen Lernaufgaben. Solch eine Diskrepanz festzustellen ist auch für den Lehrer oft nicht einfach, weil sehr viele Aufgaben in der Schule bereits über die Schrift vermittelt sind (z.B. Textaufgaben in Mathematik).

Für die Arbeit in unserer Einrichtung stellen diese Definitionen die diagnostischen Mindeststandards dar. Da eine solche Definition (Differenzialdiagnostik) lediglich abgrenzt, welches Kind von einer Lese-Rechtschreibstörung betroffen ist, nicht aber wie man ihm helfen kann, muss sie immer um eine Förderdiagnostik (mehr) ergänzt werden.
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Wir halten darüber hinaus die von namhaften Pädagogen und Psychologen vorgetragenen Einwände gegen eine Beschränkung der Hilfen auf gewissermaßen "hochbegabte" Kinder für bedenklich. Aus unserer Arbeit wissen wir: Jedes Kind kann angemessen Schreiben und Lesen lernen, wenn es die gezielte Hilfe erhält, die es braucht. Die Definition der LRS sollte für die Bestimmung der nötigen Hilfen deshalb weiter gefasst sein. Beispielhaft für diese These sei Prof. Dr.Christian Klicpera zitiert: "Insgesamt wird man feststellen müssen, dass die Intelligenz für das Lesen- und Schreibenlernen von beträchtlicher Bedeutung ist, dass aber Diskrepanzen, die zwischen der Allgemeinbegabung und der Lese- und Schreibfähigkeit bei Schülern der Regelschule auftreten, wenig Aussagekraft in der Diagnostik dieser Schwierigkeiten haben. Da die Prognose von Lese- und Schreibschwierigkeiten, unabhängig von der Intelligenz der Kinder, in der Volksschule eine ähnliche ist, wird man zudem - bei aller notwendigen Zurückhaltung - auch vermuten können, dass die Kenntnis der Intelligenz der Kinder auch keinen wesentlichen Beitrag bei der Entscheidung über geeignete Fördermaßnahmen zu leisten vermag." (Christian Klicpera, Barbara Gasteiger-Klicpera, Lesen und Schreiben - Entwicklung und Schwierigkeiten, Bern/Huber 1993, Hervorhebungen ILT) Es macht also wenig Sinn, wenn von schulischer Seite nur dann Hilfen für nötig befunden werden, wenn das betroffene Kind in Mathematik hervorragende Leistungen erbringt. Bildungspolitisch plädieren wir im Einklang mit den Autoren der zitierten Studie also dafür, dass jedes Kind mit Schwierigkeiten beim Erwerb der Lese- und Rechtschreibkompetenz die dafür nötigen Hilfe erhalten sollte.
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